Ukraine

Russland-Kenner gibt jetzt dramatische Warnung aus

Wladimir Gel’man von der Universität Helsinki erklärt im Interview, was von den Kriegs-Plänen des weißrussischen Diktators Lukaschenko zu halten ist. 

Heute Redaktion
Mit stundenlangem Raketenbeschuss trug Russland den Krieg am Montag wieder nach Kiew und in ukrainische Regionen von Charkiw im Osten bis Lwiw im Westen.
Mit stundenlangem Raketenbeschuss trug Russland den Krieg am Montag wieder nach Kiew und in ukrainische Regionen von Charkiw im Osten bis Lwiw im Westen.
REUTERS

Herr Gel’man*, der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko will eine gemeinsame regionale Militäreinheit der Streitkräfte seines Landes mit der russischen Armee bilden. Was halten Sie davon?

Ich gehe davon aus, dass Belarus wie zu Beginn des Krieges erneut als Basis für russische Truppen fungieren wird. Zwischenzeitlich sind die russischen Truppen ja wieder aus Belarus abgezogen. Es geht also vor allem darum, belarussisches Territorium zu nutzen. Dass belarussische Truppen wirklich in die Ukraine entsandt werden, denke ich nicht. Sie werden nicht sehr aktiv werden.

Wieso passiert das jetzt?

Weil das nie die Entscheidung von Alexander Lukaschenko war, sondern allein von Wladimir Putin. Lukaschenko gab Moskau bereits im Februar Grünes Licht, von Belarus aus Kiew anzugreifen, und auf diese Zustimmung ist Putin jetzt zurückgekommen.

Der Krieg ist nicht populär in Belarus. Geht Lukaschenko kein politisches Risiko ein?

In einer Diktatur, wie Belarus eine ist, macht das keinen Unterschied.

Sind die schweren Angriffe auf ukrainische Großstädte erst der Anfang?  

Ich denke, dass jetzt vieles davon abhängt, was an den Frontlinien geschieht. Die Angriffe waren Russlands Antwort auf den Angriff auf die Kertsch-Brücke. Jetzt müssen wir die ukrainische Antwort auf die russischen Angriffe abwarten und schauen, was im Donbass, in Cherson und anderen umkämpften Regionen passiert - und wie Russland dann darauf wieder reagieren wird.

Manche sagen, die neuen Angriffe verdeutlichten, dass Moskau wegen der Niederlagen an der Front in Panik sei. Stimmen Sie zu?

Das lässt sich nur schwer beantworten. Ich würde eher sagen, dass die Angriffe nicht aus Panik, sondern aus Wut geschehen sind.

Wie soll der Westen auf die Angriffe reagieren?

Wie er reagieren soll, kann ich nicht sagen. Doch es ist sehr wahrscheinlich, dass die militärische Unterstützung, gerade bei der Luftabwehr, jetzt zunehmen wird.

Besteht die Gefahr, dass jetzt auch andere Länder wie Finnland oder Polen in den Krieg hineingezogen werden?

Das ist zu befürchten – jedenfalls insofern, dass es zu mehr Angriffen auf die Infrastruktur anderer Länder kommen wird, so wie bei den Explosionen auf die Nordstream-Pipelines. Derlei wird sicher dazu beitragen, dass andere Länder scharf antworten werden. Aber inwiefern das in einer aktiveren Teilnahme anderer Länder resultieren wird, ist schwer zu sagen.

Was erwarten Sie?

Es hängt vieles davon ab, wie stark und wie aggressiv Russland derlei Aktionen durchziehen wird. Wir wissen schlicht nicht, wie weit Moskau zu gehen bereit ist. Allerdings ist es nicht eine Frage der Visionen, sondern eine der Kapazitäten: Wie viele Ablenkungsmanöver kann Russland gleichzeitig führen, welche Gelegenheiten kann es nutzen und welche technischen und menschlichen Ressourcen stehen tatsächlich zur Verfügung? Russlands Ressourcen und Fähigkeiten sind limitiert – aber wir kennen die Limite nicht.

Haben in Moskau nun endgültig die Hardliner das Steuer übernommen?

Soweit ich das beurteilen kann, gibt es innerhalb der militärischen Elite Streitigkeiten über die Neuverteilung von Ressourcen. Und man sucht unter früheren Kommandanten einen Sündenbock wegen angeblicher Ineffizienz. Aber wir müssen uns im Klaren sein: Nicht das russische Verteidigungsministerium hat das Sagen, sondern allein der russische Präsident. Er entscheidet, was passiert, er steht hinter jeder Beförderung und hinter jeder Absetzung. Nur Putin bestimmt - alle anderen Personen sind zweitrangig.

* Professor Wladimir Gel’man ist Politologe und Russland-Experte an der Universität Helsinki

Videokonferenz am Dienstag
Nach den massivsten russischen Raketenangriffen auf die Ukraine seit Monaten hofft die Regierung in Kiew auf zusätzliche internationale Unterstützung. Für Dienstag ist eine Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigen Industriestaaten geplant, bei der auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski das Wort ergreifen soll. Experten erwarten, dass er dann um weitere Boden-Luft-Raketen bitten dürfte.
In einem Telefonat am Montagabend sicherte US-Präsident Joe Biden seinem ukrainischen Amtskollegen bereits neue Militärhilfe zu – etwa in Form moderner Luftabwehrsysteme. Biden habe auch betont, dass die USA mit Verbündeten und Partnern darauf hinarbeiteten, Russland Kosten aufzuerlegen und es für Kriegsverbrechen und Gräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen. In einer vorangegangenen Erklärung hatte der US-Präsident die «äußerste Brutalität» des russischen Angriffskriegs verurteilt.

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